Meine Karriere als Tierfanatikerin begann schon im Kindergartenalter. Schon früh hatte ich das Bedürfnis, alles über sie zu lernen, mich mit ihnen zu beschäftigen und auch VON ihnen zu lernen. Meine Freunde und ich haben allerlei ausprobiert. Kaninchen, Vögel, Fische, Meerschweinchen, Mäuse, Hamster, wir haben Igel überwintern lassen und Insekten und Schnecken gesammelt, Fische, Kaulquappen und Frösche gefangen. Als das erste Tier die Zeit im Glas nicht überlebt hat, haben wir gelernt, dass Gläser kein Lebensraum für Tiere sind. Damit war das Thema Tiere in Gläsern sammeln erledigt.
Wir haben sicher nicht alles richtig gemacht, aber ich erinnere mich daran, dass ich, sobald ich wusste, welche Haltungsbedingungen eine Tierart erforderte, entweder von einer nicht artgerechten Haltung abgesehen oder die Haltung verändert habe. Wenn ich mich an diese Zeit erinnere, fällt mir auf, wie ich mich durch Lernen und Erfahren verändert habe in meiner Haltung, inwieweit und wie sehr ich meinen Haustieren verpflichtet bin. Ab dem Zeitpunkt, an dem wir uns für ein Tier entscheiden, ist es uns für den Rest seiner Zeit bei uns ausgeliefert. Wir bestimmen über alles. Wie es gehalten, erzogen, beschäftigt, gepflegt und versorgt wird. Wie es ernährt, gestylt, medizinisch behandelt und verändert wird. Ob und wo es betreut oder wohin gar abgegeben wird. Oft sogar ob und wann und wie es stirbt. Das Tier hat keinerlei Mitspracherecht und kann sich kaum entziehen. Es ist darauf angewiesen, dass die Menschen an seiner Seite es verstehen und seine Bedürfnisse erfüllen, und damit meine ich nicht nur Grundbedürfnisse wie Nahrung und Austreten.
Ich erlebe leider oft, wie Hundehaltung schon an der Basis missverstanden wird. Und ich frage mich, ob wirklich so viele Leute gar kein Interesse daran haben, ihre Hunde kennen- und verstehen zu lernen. Es muss niemand ein Profi sein, um einem Hund ein gutes Leben zu bereiten. Doch ist es meiner Meinung nach unerlässlich, sich mit der Spezies Hund auseinanderzusetzen und zu lernen, wie sie tickt, kommuniziert, agiert. Schon allein, damit man nicht den Fehler macht, das Verhalten des Hundes mit menschlichen Maßstäben bewerten zu wollen.
Doch bevor man sich mit seinem Hund auseinandersetzen darf, geht man auf die Suche. Es wird spontan irgendein Hund ausgewählt und ins Land bestellt oder bei Kleinanzeigen gekauft. Vorstellungsrunde in der Welpenstunde: „Das ist Rambo, Labrador mit Nochirgendwaswegenderfarbe“. Die Menschen an der Leine: nahezu Greise, Ersthundehalter. Es tut weh, direkt zu sehen, dass es nicht passt und wahrscheinlich auch nicht passend gemacht werden kann. Wir geben unser Bestes in dem Wissen, dass es wahrscheinlich nicht genug sein wird. Gleiches gilt für all die Hunde, die schon krank geboren werden, weil der Mensch bestimmte Merkmale bevorzugt. Oder die erwachsene Hündin von der rumänischen Straße, die als Direktvermittlung (d.h. ohne ein Kennenlernen) zu ihrem Frauchen gekommen ist. Nach wenigen Sätzen ist klar, dass sie vorwiegend dafür angeschafft wurde, mit Liebe überschüttet zu werden. Über ihre Vergangenheit ist nichts bekannt. Schnell wird klar, sie ist nicht wie erhofft. Hat andere Pläne als mit einem schicken Mäntelchen an der Flexi im Park zu flanieren. Ihre Persönlichkeit ist unerwünscht, obwohl sie nichts falsch macht und auch nie etwas anderes „versprochen“ hat. Für uns Menschen sollte es eigentlich ein Leichtes sein, sich einen passenden Hund auszusuchen, aber dazu wird es zu oft versäumt. Dann ist der Hund derjenige, der es ausbaden muss. Bei uns ist grundsätzlich jeder willkommen, der etwas mit seinem Hund machen will. Aber es schmerzt unheimlich zu sehen, dass Hunde vor allem deshalb erheblich in ihrer Lebensqualität eingeschränkt sind, weil ihre Menschen sich nicht informiert haben. Wir alle haben Zugang zu Informationen. Eigentlich dürfte es niemanden geben, der sich für Hunde interessiert und dennoch nichts über sie weiß.
Einer meiner meistgefürchteten Schauplätze: das Wartezimmer beim Tierarzt. Früher war es langweilig, dort zu sitzen, inzwischen erlebe ich bei fast jedem Besuch Szenen, die ihresgleichen suchen. Die Tür vom Behandlungszimmer geht auf, ein Mensch kommt schwungvoll hinter einem Schokolabbi hergeflogen, lässt ihn allen reihum Hallo sagen – das macht er so gern. Der Herdenschutzhund in der Mitte des Raums motzt prophylaktisch. Seine Menschen? Streicheln ihn, reden beruhigend auf ihn ein, versuchen, seinen Kopf mit den Händen wegzulenken. Ich schaue ihn an und sehe ihn einen kleinen Block ziehen, auf dem ein paar Striche zu sehen sind. Auf der Hülle steht „Hangman“. Er macht einen weiteren Strich. Viel scheint nicht mehr zu fehlen, bis jemand genügend Minuspunkte gesammelt hat und Ärger kriegt. Mein Kopfkino stellt sich auf einen Krimi ein.
„Du brauchst keine Angst haben“, bekommt in der nächsten Szene auch ein kleiner Mischlingsjunghund namens Rocky – wie der Patch auf seinem Geschirr verrät – gesagt, der sich unterm Stuhl versteckt hat und von dort aus sicherer Entfernung den Hermann macht und alle anwesenden Hunde fixiert und anblafft. Mit hoch erhobener Rute, Piloerektion und durchgedrückten Beinen. „Komm, krabbel ihn noch ein bisschen, das hat ihm beim letzten Mal auch geholfen“, höre ich noch. Zwischendurch ist es dann doch ein wenig unangenehm, dass Rocky so laut ist, und es wird sich in einem Nein versucht. Es bleibt beim Versuch und Rocky sammelt weiter Minuspunkte bei den anwesenden Hunden. Der Hundemensch in mir möchte in dieses Szenario schreien: „Schaut doch bitte mal hin“, aber ich weiß, niemand wird etwas sehen. Rocky wird aufgerufen und aus der Deckung gezogen. Da niemand etwas gesehen hat, passiert jetzt, was passieren musste: Ihr erinnert euch, wer in der Mitte des Raums liegt? Dort muss klein Rocky jetzt vorbei. Seine Leute ahnen noch nichts, er schon. Er versucht zu bremsen, aber sein niedriges Gewicht und die glatten Fliesen machen ihm einen Strich durch die Rechnung. Und so nähert er sich wie ein Wischmopp dem Eimer und bekommt vom Herdenschutzhund eine Abreibung, die sich gewaschen hat. „Das hat er ja noch nie gemacht“, scheinen die Gesichter aller Beteiligen zu sagen. Zumindest bei einem ist sehr wahrscheinlich, dass es sich um eine Lüge handelt, dazu war der Auftritt unseres Hangman-Spielers viel zu routiniert. Immerhin sind wir schon beim Tierarzt und müssen nicht hinfahren, das ist für Rocky immer so stressig, denn Rocky steht nicht so darauf, festgehalten und untersucht zu werden. Alle Hunde sind gut versichert, Thema erledigt, Shit happens.
All diese Beispiele haben eins gemeinsam: Menschen wollen einen Hund, bemühen und kümmern sich auch irgendwie um diesen. Nur leider viel zu oft wie um ein Meerschweinchen, das in Einzelhaltung leben muss, oder Fische, deren Aquarium keinen Filter hat. Keine Zuneigung oder Liebe dieser Welt, kein Superfutter oder die schönste Garderobe wird je kompensieren können, dass Hunde nicht gesehen, verstanden und wie Hunde behandelt werden. Meine Vision ist immer noch die, möglichst viele Menschen dafür zu begeistern, ihren und andere Hunde besser zu verstehen. Ihren Hund zu erziehen und sinnvoll zu beschäftigen, ihm eine Aufgabe zu suchen, die seinem Leben Sinn verleiht. Ich bin froh, dass es Menschen gibt, mit denen mich meine Haltung, der Anspruch an mich, meinen Tieren ein artgerechtes Leben zu bieten, verbindet. Nur: was ist mit all den anderen? Den Rockys und Rambos, die man wegen ihrer Optik gekauft und sich die Frage, ob deren Eigenschaften zu einem passen oder sie ein Leben ohne Qualen führen können, nicht gestellt hat. Den Hunden aus dem Ausland, die von der Straße gerettet werden sollten und dann lieber Hangman spielen als Liebe empfangen. Irgendwie werden sie leben, und irgendwie wahrscheinlich auch schöne Momente erleben. Nur verstanden werden sie wenn sie Pech haben halt nie.
Was mich daran besonders traurig macht: Hunde brauchen eigentlich gar nicht so viel. In erster Linie brauchen sie Menschen, die lernen wollen und sich auf sie einlassen können. Das ist genau das, was Hunde so besonders gut können und was wir uns von ihnen abschauen sollten.
Foto: hunde.marie