Die Sache mit der Auslastung

In den letzten Tagen ist es mir wieder gehäuft über den Weg gelaufen, das Thema Auslastung. Jeweils bei Hausbesuchen: Einmal bei einem Welpen, der nur schwer zur Ruhe kommt und die Familie „attackiert“ und einmal bei einem Junghund Hund aus dem Auslandstierschutz, der seit wenigen Tagen sein neues Zuhause bewohnt, ebenfalls mit der Tendenz, Familienmitglieder zu „attackieren“. Die Anführungsstriche seht ihr dort, weil es sich in beiden Fällen um die Wahrnehmung und Befürchtung der Familien handelte, nicht aber um das Ergebnis meiner Einschätzung.

Was beide Hausbesuche gemeinsam hatten: Motivation bis in die Haarspitzen, das neue Familienmitglied zu integrieren und zu erziehen, konkrete Vorstellungen einer gemeinsamen Zukunft, viel Vorbereitung mithilfe zahlreicher Medien, frühzeitige Anmeldung zum Training, Equipment in Hülle und Fülle. Und: die Idee, den Hund auslasten zu wollen. Und ja, es ist toll, Menschen vorzufinden, die sich vorbereiten, sich Gedanken machen und dem Hund das beste Leben bieten wollen. Die sich nicht erst bewegen, wenn der Leidensdruck groß ist. Die früh spüren, irgendetwas läuft nicht rund.

Schnell wurde klar, beide Hunde hatten einen regelrechten Manager-Stundenplan. Mit Einreise, Einzug, der neuen Familie, Umgebung, Spaziergängen, Ausflügen, Sozialisierung, ersten Kontakten zu Artgenossen, Futterumstellung, ersten Signalen und Regeln, Tagesstruktur, usw. Die vermeintlich grundlosen, bösartigen „Attacken“ suchten die Familien in erster Linie heim, weil die Hunde mit all dem, was um sie herum passierte, maßlos überfordert waren. Und besonders bei Auslastungsangeboten wie dynamischem Spielen brannten dann jeweils die Synapsen durch und die Hunde verloren sich in wilder, lauter, grober Interaktion.

Die Familien zeigen sich überrascht darüber, dass ich ihnen und ihren Hunden mehr Langsamkeit, Struktur und Ruhe verordnete. Derart tief eingebrannt hatte sich die Vorstellung, dass ein Hund ausgelastet werden müsste. Sich gemeinsam auf den Rasen oder eine neue Umgebung setzen und Geräuschen zuhören, einfach mal irgendwo ruhen, atmen und die Umwelt mit allen Sinnen wahrnehmen, darauf wären sie als sinnvolles „Auslastungsmodell“ als letztes gekommen. Natürlich wünsche ich keinem Hund, dass seine Bedürfnisse nach Bewegung, Lernen und Action überhaupt nicht gesehen werden und er irgendwo als geladenes Pulverfass in einer Ecke verstaubt. Nur: genauso wenig wünschenswert ist es, trotz guter Absichten, komplett mit Eindrücken überfrachtet zu werden.

Auslastung, wie klingt dieses Wort für dich? In meinen Ohren klingt es in erster Linie sehr technisch. Wie ein Tages- oder Wochenziel, zu dessen Erreichung ich mich pushen muss. Eine Verpflichtung, die es nachzuholen gilt, wenn sie verpasst wurde. Was getrackt und gemessen wird. Etwas, das weder Freude machen noch leicht sein darf. Sollte so etwas eine Beziehung, ein Miteinander bestimmen? Schon vor Jahren habe ich den Auslastungsgedanken abgelegt, obwohl ich Arbeitsrassen führe. Natürlich habe auch ich hin und wieder ein schlechtes Gewissen, wenn ich es mal nicht schaffe, den Hunden einen – aus Hundesicht – vielseitigen Tagesablauf zu bieten. Aber ich schaffe es, mich ganz schnell wieder einzunorden, indem ich daran denke, wie viel wir meist unterwegs sind und was sie alles erleben dürfen. Dass es Tage gibt, nach denen sie viele Eindrücke zu verarbeiten haben, und es allein deswegen schon auch welche geben muss, an denen ihr Nervensystem das in Ruhe erledigen kann.

Gerade sehr aufgeregte Hunde, die mit Emotionen wie Frust umgehen lernen müssen, sind in der Regel mit dem Erlernen der Selbstregulation mehr als ausgelastet. Natürlich müssen sie zwischendurch auch einfach mal Dampf ablassen, aber dafür braucht es keinen durchdachten Stundenplan. Da tun es meist auch ein paar Flitzerunden über die Wiese oder ähnliches.

Wenn du dir gerade auch Druck machst, weil du deinen Hund perfekt auslasten möchtest, dann atme mal tief ein und aus. Was deinen Hund und dich glücklich machen wird ist, dass ihr euer Leben lebt. Viel gemeinsam, aber auch jeder für sich. Dass ihr jeden Tag aufs Neue schaut, worauf ihr Lust habt, wofür ihr Zeit habt und was gerade dran ist. Es ist kein Hexenwerk, die eigenen Bedürfnisse und die anderer zu erkennen. Und dann spielt und tobt ihr, wenn es dran ist, übt fleißig, wenn es gerade passt und nötig ist, erlebt gemeinsam etwas Neues, chillt in der Natur oder bleibt einfach mal auf der Couch. Und es wird für euch passen. Schreib mir gern, wenn du Ideen brauchst.

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